Martin Ulrich Kehrer

Martin Ulrich Kehrer

Fotografie, Typografie, Grafikdesign

Schon vor seinem Studium der experimentellen Gestaltung in Linz zeigte Martin Ulrich Kehrer großes Interesse an Schrift im öffentlichen Raum. Davon zeugt sein Archiv typografischer Fundstücke aus aller Welt. Aus der Liebe zu den Buchstaben entstand 2006 schließlich die Diplomarbeit Typografischer Stadtplan Wien mit Fotos von Geschäftsbeschriftungen und Aushängeschildern kleiner Geschäfte und Gewerbetreibender. Darauf folgte im Frühjahr 2009 das Buch Stadtalphabet Wien, sowie im Mai 2013 das Buch Stadtalphabet Barcelona, beide erschienen im Sonderzahl Verlag. Beim langfristig angelegten Projekt Stadtalphabet vereinen sich alle Disziplinen in den Kehrer hauptsächlich tätig ist: Fotografie, Typografie und Grafikdesign.

GGR: Sie haben Wien und Barcelona nach spannenden alten Geschäftsbeschilderungen durchforstet. Welche der beiden Städte hat diesbezüglich noch mehr Substanz?
In Barcelona gibt es noch mehr Beschriftungen die besonders ins Auge stechen da sie verspielter und exaltierter sind. Auffällig ist dass viele alte Beschriftungen aufgrund der speziellen Bedingungen während der Diktatur konserviert wurden. In Wien findet man abseits der städtischen Hotspots auch noch jede Menge interessanter Schriftzüge, jedoch nicht in dieser geballten Form. Meinen Beobachtungen zufolge verschwinden in Wien die alten und nicht mehr verwendeten Beschriftungen schneller. Viele Beispiele aus dem Wien-Buch existieren mittlerweile nicht mehr. Dafür werden im Zentrum die alten Beschriftungen manchmal gut gepflegt und saniert um sie weiter zu verwenden. Auf diese Art weisen manche Geschäfte auf ihre lange Tradition hin.

GGR: Hätte ihre Heimatstadt Linz auch Potential für ein eigenes Alphabet?
Es gibt zwar einige außergewöhnliche Schriftzüge, jedoch viel zu wenig für ein eigenes Stadtalphabet Linz. In Wien und Barcelona habe ich jeweils zwischen 2500 und 3000 Foto gemacht, in den Büchern sind jeweils rund 200 Abbildungen. Das wäre in Linz nicht möglich, dafür ist die Stadt einfach zu klein.

GGR: Was interessiert Sie am meisten an dieser Art Typografie. Was erzählen uns diese Schilder?
Ich finde die große Bandbreite an unterschiedlichen Buchstabenformen, Materialien, Farben etc. besonders spannend. Es ist auch interessant zu sehen wie Gewerbetreibende ihr Geschäft markieren und versuchen die Aufmerksamkeit der Passanten zu erregen. Oft steht die Gestaltung auch in direktem Zusammenhang zum Geschäftszweck, eine Boutique verwendet eine elegante Beschriftung, eine Eisenhandlung verwendet Buchstaben aus Metall etc. Für mich wird es dann interessant wenn diese Verbindung kippt, wenn z. B. die Metallbuchstaben der Eisenhandlung verrostet sind und den Geschäftszweck sabotieren.

GGR: Wie hat das mit diesen typografischen Studien überhaupt begonnen?
Während meines Studiums habe ich bemerkt dass ich in Städten die ich besuchte fast nur Beschriftungen fotografiert habe und keine klassischen Sehenswürdigkeiten. Das waren auch immer meine ersten Bezugspunkte für die Orientierung in einer mir unbekannten Stadt. Daraus ist ein Archiv gewachsen und ich habe begonnen diese Schriftzüge systematisch zu fotografieren.

GGR: Planen Sie noch weitere Arbeiten im Rahmen dieses Zykluses? Was wären Städte die Sie „Stadtalphabetisch“ noch reizen würden?
Die Arbeit geht auf jeden Fall weiter, mögliche Städte sind Paris oder Berlin.

GGR: Sie sagen: „Ich will in meiner Arbeit den Blick auf Übersehenes und Vernachlässigtes richten.“. Was interessiert sie so am Verborgenen? Hat es nicht auch etwas gutes, das Dinge aus der Wahrnehmung verschwinden und damit neuem Platz machen?
Ich möchte die Wahrnehmung für jene Dinge schärfen die oft übersehen werden. So eben auch für die Geschäftsbeschriftungen. Vielleicht bringt das ja einen kleinen Erkenntnisgewinn und ein kurze Freude über die Besonderheit einer Beschriftung. Oder sie weckt eine Erinnerung.
In der eigenen Stadt läuft man oft daran vorbei ohne sie wahrzunehmen. Ist man jedoch in einer fremden Umgebung werden diese zu Orientierungspunkten und Landmarken und man nimmt sie viel bewusster wahr.
Ich sehe mich in keiner Weise als Konservator der das Alte um jeden Preis bewahren will. Ich halte es für wichtig dem Neuen Platz zu machen. Der ständige Wechsel, das Umbauen, das Auftauchen und Verschwinden ist auch ein Indiz einer lebendigen Stadt. Dennoch finde ich es erfrischend wenn der eine oder andere alte Schriftzug Bestand hat und gepflegt wird.

„Ich will in meiner Arbeit den Blick auf Übersehenes und Vernachlässigtes richten.“
So beschreibt sich der Künstler Martin Ulrich Kehrer selbst.

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Geboren 1976 in Linz
2006 Diplom an der Kunstuniversität Linz/Experimentelle Gestaltung
Ausstellungen u. a. im OK Offenes Kulturhaus Linz, Ars Electronica Linz, MAK Wien, Wien Museum. Buchveröffentlichugnen im Sonderzahl Verlag Wien. Seit 2004: Grafikstudio in Linz, seit 2009: Vater einer Tochter.

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